Du wirst mehr
in den Wäldern finden,
als in den Büchern.
Bäume und Steine
werden dich lehren,
was du von keinem Lehrmeister hörst.
Bernhard von Clairvaux (1090-1153, Abt und Mystiker)
In den letzten 2 Blocks mit demselben Titel habe ich die Wirkweise der Natur und seiner Stoffe
* auf unseren Körper – hier
* auf unsere Seele – hier
beschrieben.
In diesem Blog gehe ich einen Schritt weiter.
Länger in der Natur, verschwimmen die Grenzen zwischen psychologischer und spiritueller Wahrnehmung.
Die Natur als Spiegel
Beispiel: kein Weg
Die Frau steht auf dem Weg, und bekommt ein Waldstück angeboten.
Sie schaut in den Wald und sieht mich fragend an: „da ist ja gar kein Weg“. „Nein da ist kein Weg“…
Später, als sie ihre Geschichte erzählt, erwähnt sie, dass das genau ihr Thema ist:
„ich sehe grade keinen Weg“ und sie schildert, was ihr auf diesem „Nicht-Weg“ begegnet ist.
Wer sich aufmerksam in der Natur aufhält, der bemerkt, dass er nicht nur ruhiger und „aufgeräumter“ wird, sondern auch klarer und intuitiver, ja feinfühliger.
Manche Frage oder Befindlichkeit findet ein Gegenüber.
Wie in einem Spiegel werden Blätter, Moos, Wolken, Regen, Tiere, Steine und andere Wesen zu Botschaftern. Plötzlich sind sie ein Hinweis für unser Leben und lassen neue Denk- und Fühlwege oder Lösungsansätze aufleuchten.
Wenn wir akzeptieren, dass die Natur beseelt ist, uns nicht-wissend, sondern fragend in ihr bewegen, dann wird sie uns ganz mit ihrer mystischen Seite begegnen.
Ich spreche hier durchaus von einer „unsere Intelligenz übersteigenden Weisheit“.
Sie „weiß“ und spiegelt immer das, was jetzt hilfreich und nötig ist.
Unsere christliche Tradition kennt das Reden der Wildnis schon sehr lange:
Mose, Elia, Jesus, Paulus, die Wüstenväter, die Athos Mönche, Hildegard von Bingen, um nur einige zu nennen. Allen gemeinsam war das immer intensivere Hinhören auf die große Stille draußen, manche sagen dazu Urquelle oder Gott.
Und plötzlich ist da ein Gegenüber, das auf seine Weise „redet“ und ich bin willkommen – eine sehr faszinierende Erfahrung.
Die Natur als Wegweiser
Beispiel: die Frage
Der Mann hat einen großen Schritt aus seiner Lebensumgebung gemacht, die ihn sehr eingeengt hat. Aber immer wieder melden sich Zweifel, ob das denn so richtig war. Mit dieser Frage ist er lange in der Natur.
Beim Sitzen auf einem Baumstamm fällt sein Blick auf einen Baum mit zwei langen Ästen. Einer strebt senkrecht nach oben, mit viel grünem Laub, der andere ist wie durch ein Gewicht bis auf den Boden gebogen, mit abgestorbenen Blättern.
Und wie ein Blitz ist es ihm völlig klar: „gehe ich zurück ins Alte, werde ich wie der Verdorrte, stehe ich zu meiner Entscheidung, erlebe ich neue Lebendigkeit“.
Bei solchen Erlebnissen öffnet die Natur unser inneres Auge. Etwas gerät in Resonanz und, ohne dass wir‘s erklären können, stellt sich größere Klarheit ein. Goethe hat dies in seinem Gedicht Epirrhema so formuliert:
„Müsset im Naturbetrachten
immer eins wie alles achten
nichts ist drinnen, nichts ist draußen
denn was innen, das ist außen“.
Beispiel: das Tal
Etwas niedergeschlagen findet die Frau einen Taleinschnitt.
Ganz oben am Rand hohe Bäume, weithin sichtbar, dann am Abhang, viel Totholz. Ganz unten verwesende Baumstämme, mit Moos überzogen. Eine Quelle, sprudelt munter unter den Stämmen hervor.
Lange sitzt sie da und schaut….
Irgendwann dämmert es ihr: das Tal wird zu ihr, sie wird zu dem Tal. „Das bin ich“ resoniert es in ihr, „oben meine Erfolge, das, was die Menschen sehen, dann die Tiefe: im Moment viel Gerümpel, Abgestorbenes, Verwundetes, Moderndes, Verletztes.
Und DARAUS kommt die Quelle, meine Quelle – dort wo ich es nicht vermutet hätte“. Plötzlich ist alles stimmig.
Wie zur Bestätigung fliegen oben ein paar Vögel und rufen und sie „hört“: „jetzt hast Du’s verstanden“.
Glücklich kehrt sie heim – sehr beschenkt.
Zum weiterstöbern:
Soulcraft – Tiefenpsychologe, Ökotherapeut Bill Plotkin (www.animas.org)
Visionssuche – Steven Foster, Meredith Little (www.schooloflostborders.org)
Naturmystik – Ursula und David Seghezzi (www.umainstitut.net)
NaturGang Impuls:
(nach einem Impuls von umainstitut.net)
Stellen Sie eine Uhr auf ca. 2 Stunden Zeit, gehen Sie über eine selbst gestaltete Schwelle aus Naturmaterialien in die Natur, abseits der Wege.
Werden Sie durch Begegnung mit verstorbenen Naturwesen gewahr, welche(n) Abschied(e) Sie in diesem Jahr zu verschmerzen hatten. (Menschen, Freunde, Wünsche, Ruhestand, …). Finden Sie dafür einen Naturgegenstand.
Gestalten Sie mit ihm ein Ritual (sie werden wissen, was zu tun ist) und drücken Sie Ihre Gefühle zu diesem Abschied aus. (Vorwürfe, Schuldgefühle, Wut, Erleichterung, …). Betrachten Sie Ihr Ritual noch einmal in Stille und zerstreuen Sie es dann.
Gehen Sie zurück über die Schwelle und lösen diese wieder auf.
Notieren Sie Ihre Erfahrungen.
Noch ein Hinweis:
Ich möchte Sie ermutigen, sich solch einen Naturgang nicht nur vorzustellen (wie es wohl wäre),
sondern ihn auch durchzuführen (gerne mit Unterstützung).
Die lebendige Begegnung kann nur draußen stattfinden und Sie werden beglückt zurückkehren.
Natur als Antwort auf meine tiefsten Fragen ?? !!
Wie kann das sein, dass eine winzige Schnecke, ein Schößling, ein Stück Rinde mir zur Antwort
wird?
In einer Trauerphase im Übergang von Berufsleben und arbeitsfreier Zeit bewegt mich die Frage,
was nun? Was gibt mir Sinn? Wer bin ich? Kreuz und quer, wie die Fragen in meinem Kopf
durcheinander purzeln, bewege ich mich im Wald, ziellos, Hindernisse übersteigend, durch
kriechend, mal im sanften Grünlicht der Blätter, dann in der Dunkelheit engstehender Fichten, lasse
mich auf einem vermodernden Stamm nieder, versuche stille zu sein, STILLE zu sein ….. Als ich
meine Augen wieder öffne, sehe ich winzige Keimlinge, zart noch am Boden. Meine Seele nimmt
dies Bild auf und ich erlebe mich als Hoffende, als eine, die durch den Prozess des Sterbens der
alten Identität hindurch gehen wird im Vertrauen auf das noch Unbekannte, aber Werdende.
Waltraud, vielen Dank für Ihre wichtige Frage und die Antwort durch Ihr Erleben. Das Hinspüren in der Natur fördert unsere intuitiven Empfangsantennen. Die „Antworten“ kommen dann nicht mehr vom Kopf, sondern aus der Resonanz in unserem Inneren. Etwas „spricht“ zu uns und wir „wissen“, obwohl wir es oft nicht rational erklären können – und das müssen wir auch nicht.