Nachdem er einer Frau mit Gehirntumor im Flugzeug lange zugehört hat, dämmert es Hektor:

„Zuhören heißt lieben“

(im Film
„Hektor’s Reise oder die Suche nach dem Glück“,
nach dem gleichnamigen Roman von Francois Lelord)

Zu-hören

Ist Ihnen schon mal jemand begegnet, die/der Ihnen „wirklich“ zugehört hat?
Jemand, bei der/dem Sie ganze Aufmerksamkeit und Raum hatten?
Bei der/dem Sie sich verstanden fühlten, obwohl Ihr Gegenüber vielleicht niemals in ähnlicher Situation war?
Hatten Sie dabei das Gefühl, dass das, was sie zu sagen hatten, jetzt das Wichtigste war? Dass Sie gehört und gesehen wurden?
Und am Ende waren Sie entlastet und sogar glücklich, obwohl Ihr Gegenüber vielleicht wenig Fragen gestellt oder Kommentare beigetragen hat?

Solches Zu-hören gibt schon die Ausrichtung („zu“) an und ist wohl eine seltene Kunst

Oft begegnet uns anderes.
Wir möchten uns mit-teilen und hören, dass unsere Situation wohl oder hoffentlich schnell wieder vorbei geht, oder es bei unserem Gesprächspartner noch schlimmer war. Manchmal ist unsere Schilderung nur das Sprungbrett für andere, Ihre eigene Geschichte zu erzählen, bevor unsere überhaupt in Fluss gekommen ist.
Oder die Menschen, die gleich eine Lösung suchen (meine persönliche Falle), und während der gedanklichen Lösungs-suche natürlich nicht bei dem Mitteilen der/des Anderen verweilen können.
Vielleicht auch vermeintlich mitfühlende Menschen, die ganz in unsere Situation hineinfallen, und wo das Gefühl entsteht, wir müssten jetzt für Sie da sein.

Ich merke, wie komplex das Thema ist, wie viele Fallen, aber auch Chancen Zuhören in sich trägt, die für beide Seiten gewinnbringend sein können.
Zuhören, ohne innerlich auf dem Sprung eines eigenen Beitrags zu sein, können wir bei Momo (Michael Ende) sehen. Hier ein Auszug:

 

Momo’s Zuhören

Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war das Zuhören.
Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur recht wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.

Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte – nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme.
Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm plötzlich Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten.

 

Sie konnte so zuhören, dass ratlose, unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten.
Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten.
Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden.

Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt, und er ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte das alles der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.

So konnte Momo zuhören!

Das Council – von Herzen hören und sprechen

Unsere Gesprächs-kultur ist geprägt von Diskussion. Meinungsaustausch oder Vorträgen. Wir sind es nicht mehr gewohnt Zu- oder Hin-zuhören. Oft reden mehrere gleichzeitig oder es geht heftig hin und her. Ausreden lassen fällt uns schwer und oft geht es ums Rechthaben.

Unter anderem in der Naturarbeit mit Gruppen wird immer wieder das „Council“ (der Rat) praktiziert. Dabei geht es um

* im Kreis sitzen, (statt hintereinander), sich zu sehen und vor allem
* von Herzen zu sprechen und
* von Herzen zuzuhören

Eine/r spricht (z.B. symbolisiert mit einem Redestab), alle anderen hören nur (!) zu.
Zunächst ohne Rückfragen oder Aufnehmen einer Diskussion.
Das entschleunigt ungemein und macht erlebbar, dass jede/r gesehen und gehört wird. Jede/r hat die ungeteilte Aufmerksamkeit.

Es gibt kein Oben und Unten. Jede/r wird mit seinem Beitrag wertgeschätzt und gesehen.
Vielleicht ist das eine sehr gute Umsetzung der Erkenntnis des österreichischen Anthropologen und Religionsphilosophen Martin Buber, der postulierte: „Das Ich wird am Du“.
Ich bin gesehen, ich bin gemeint, ich bin gehört.

„Wohl dem, der ein mitfühlendes Herz findet, das mit gebanntem Interesse lauscht, das an manchen Stellen zusammenzuckt, ohne unter der Bürde zusammenzubrechen. Durch selbstloses, aber aktiv mitfühlendes Zuhören wird die Erfahrung gemacht, dass man nicht allein mit allem fertig werden muss.“  (Dr.Clarissa Pinkola Estes)

Und nun?

Vielleicht reicht es und könnte erhellend werden, wenn Sie sich eine Woche lang die Frage stellen und sich in alltäglichen Begegnungen selbst beobachten: „Wie höre ich zu?“

Quellen:
Momo – Michael Ende
Hectors Reise – Francois Lelord
Zerbrochen und doch ganz – Saki Santorelli – MBSR
Die Wolfsfrau – Clarissa Pinkola Estes – Psychoanalytikerin
Council: bei Eschwege Institut – hier

NaturGang Impuls:

Stellen Sie eine Uhr auf ca 2 Stunden Zeit, gehen Sie über eine selbst gestaltete Schwelle aus Naturmaterialien in die Natur, abseits der Wege.
Versuchen Sie vom Kopf ins Wahrnehmen zu gehen, lassen Sie sich treiben und finden Sie einen Platz.

Schließen Sie die Augen und lauschen. Was können Sie im Außen wahrnehmen? Wie ist der Klang, die Lautstärke, die Mischung von Geräuschen? Spüren Sie hin, bis Sie eins werden mit den Geräuschen. Lassen Sie sich Zeit, es gibt jetzt nichts anderes zu tun.
Dann lauschen sie nach innen: was „tönt“ in Ihnen, vielleicht als Resonanz auf das Gehörte. Möchten Sie dieses Tönen mit Ihrer Stimme, Ihrem Körper ausdrücken? – tun Sie es. Genießen sie das „Verklingen“.
Gehen Sie zurück über die Schwelle und lösen diese wieder auf.
Notieren Sie Ihre Erfahrungen.