„Das Gehen war für mich zum Ritual mit viel Resonanz geworden.

Die Natur hatte keine Erwartungen an mich.
Sie schaffte es, mich aus dem alltäglichen Gestrüpp aus Pflichten,
dem Leben als einem einzigen nie enden wollenden Aufgabenzettel zu entreißen.“

Stephan Schäfer

 

Warum wandern Menschen? Was treibt sie an, was suchen und finden sie? Manche, wie die Thru-Hiker, oft tausende von Kilometern in einsamer Wildnis.

Auf kleinerem Niveau zieht es mich und meine Partnerin oder meine Schwester immer wieder hinaus, um für einige Tage bis Wochen „weit-zu-wandern“. Ob auf dem Dingle-way in Irland, dem E5 über die Alpen, dem Heidschnuckenweg, dem Franziskusweg in Italien oder dem Padjelantaleden in Schwedisch-Lappland, immer wieder ziehen wir los und haben alles dabei, was wir unterwegs brauchen. Bei einigen Weit-Wanderern fand ich Gedanken, die mir halfen, meine eigene Sehnsucht besser zu verstehen

Natur

Wir erleben Draußensein als einen Teil der Natur. Wenn Regengüsse uns klatschnass machen und die Sonne uns wärmt oder „gart“, dann spüren wir die Elemente und fühlen uns sehr lebendig.
„Mutter-Erde“ ist unsere Heimat und Natur ist Leben. Das Wandern bildet den Gegenpol zu unserem oft natur-entfremdeten Leben.
Es rückt unsere Werte wieder zurecht: „ich habe das Gefühl, ich kehre an den Ort zurück, an den ich gehöre“ schreibt Nikola Horvat.

Manchmal sind Naturerlebnisse sogar magisch. Im Nebelwald in Slowenien begegnete uns diese mystische Stimmung und die Grenze zur Anderswelt war zum Greifen nahe ( Infos hier   )

Zeit

Das Gehen in der Natur bietet uns Ent-schleunigung und Gleich-mäßigkeit.
Zu Hause ist dies oft nicht möglich, denn immer ist irgend etwas los: so viele Dinge, Verpflichtungen, Projekte fordern unsere Aufmerksamkeit und kreisen im Kopf.
Beim Wandern kann ich nachdenken ohne Stress, ohne Projektdruck und Ansprüche anderer Menschen.

Da draußen ist Stille, sind Tiere und Ausblicke. Die Natur lädt uns ein, unseren Blick mal wieder auf etwas ruhen zu lassen.
Und plötzlich erlebe ich, dass da nichts ist, was den Geist durcheinanderbringt und Klarheit steigt aus der Tiefe auf.
„Das Gehen ist und bleibt unsere beste Art, uns über uns selbst klar zu werden.
Je karger die Landschaft ist, umso klarer kann ich denken“ (Reinhold Messner)

Ich fühle wieder, wie kostbar mein Leben ist.

 

Gemeinschaft

„Menschen brauchen Menschen, Wärme und Zugehörigkeit“ (John O‘Donohue).
Beim Aufschlagen des Lagers kommen wir ins Gespräch mit anderen: „was habt Ihr dabei, wieviele kg, wie macht Ihr es mit dem Tütenfutter, wohin geht’s, was gibt Dir das Laufen?“ Als uns ein Zelt-Hering fehlt, bietet eine Wandrerin spontan einige ihrer Heringe als Geschenk an.

Vielleicht lädt diese spontane Gemeinschaft intensiver ein, sich mehr zu respektieren, besser zuzuhören, sich zu unterstützen, gar mehr zu lieben als es im Alltag möglich ist.  Ich erfahre immer wieder: ich bin nicht der Nabel der Welt.

Zu spüren ist Sinn und Verbundenheit, kein Druck, davor zu entfliehen, wie so oft zu Hause. Jeder hat dieselben Opfer gebracht, um hier zu sein, Einfachheit zu leben und sich zu finden.

 

Das Gehen in der Wildnis und die Begegnung mit Gleichgesinnten bereitet den Boden für mehr Einfachheit und Aufrichtigkeit.
Wieder zu Hause, glaube ich wieder etwas mehr an das Gute in uns Menschen.

Psychische Gesundheit

„Es braucht Mut, sich aufzumachen und das Gewohnte zu verlassen.
Ein bisschen Ängstlichkeit war dabei und eine leichte Verwirrtheit ob der Vertrautheit, die mich umfing und viel Lebensfreude.“ (R.Messner)

In unserer westlichen Kultur sind wir vollgestopft mit Konsumgütern,
Leben im Übermaß und ersticken trotzdem oft an Unzufriedenheit.
Wir haben alles und sehen das Wesentliche nicht.

 

In der Wildnis freue ich mich an einem Schluck Wasser, dem Geruch von einfachem Essen, die Freude an einer warmen Dusche, einem Platz, an dem die Füße auszuruhen können
Plötzlich werden die kleinen Dinge groß und was ich habe, genügt.

Wie meine Schwester so treffend formulierte: „es ist beglückend, wenn ich alles, was ich brauche, in meinem Rucksack trage“.

Das stundenlange Wandern setzt Denkprozesse in Gang. Ich kann ganz bei mir sein (re-centered) und „monotones“ Gehen scheint therapeutische Wirkung zu haben. Innen wird es mehr und mehr still und diese Leere wirkt beruhigend.

 

„Das Aufregende bei diesem Gehen ist das Sich-Verlieren“, schreibt Reinhold Messner
Ich fühle mich lebendig (can you feel your life) , selbst bei miesem Wetter. Gerade das wirkt oft lange nach. Diese Lebendigkeit macht mich dankbar, macht mich innerlich gesünder…
Trübsinn, Übersättigung, Sinn-entleerung können heilen da draußen.

Ankommen

Wieder zu Hause. Es waren großartige und tiefgehende  Erlebnisse: ganz bei mir sein, die Elemente fühlen, Freiheit erfahren. Und jetzt wieder „Normalität“. Wie verhindere ich das Verpuffen dieses Geschenks und was kann ich wie in den Alltag retten? Um nicht schon wieder nach der nächsten Wanderung zu schielen.

Kleine Routinen helfen mir, den Schatz zu hüten: Regelmäßig in die Natur, Morgen Ritual: für wen oder was zünde ich eine Kerze an, für was bin ich jetzt dankbar, Stille Meditation, Tagebuch. Und bei R.Rohr gelesen: „sag es Dir immer wieder im Alltag: Werner, sei jetzt ganz da“.

Mir helfen auch die Bilder der Reise, die Stimmung und Gefühle neu in mir klingen zu lassen.

 

 

Summa

Natur – Zeit – Gemeinschaft – Psychische Gesundheit – Ankommen

Leben will nicht gedacht, sondern gelebt werden – es ist ein Geschenk.
Ich möchte alles tun, um ganz ich zu werden und dazu hilft mir immer wieder dieses Hinausgehen in die Einfachheit

Weiterführende Infos:

Literatur

* 13 Spiegel meiner Seele – Reinhold Messner
* Weite Wege wandern –  Christine Türmer
* Laufen, Essen Schlafen – Christine Türmer

Movies

* 25 letzte Sommer – Stephan Schäfer (zum ARD Movie  )
* warum wandere ich – Nikola Horwart (zum Youtube Movie  )